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72 Stunden Krise

Thomas Müller; ZHAW Impact 02/22

Die Geschäftsleitung ringt um das Überleben der Firma: Hektik pur, fast Tag und Nacht. Es handelt sich zwar nur um eine Krisensimulation. Doch das Abschlussseminar im MBA fordert die Teilnehmenden bis an ihre Grenzen.


«CEO/Admin» steht in sorgfältiger Handschrift auf dem Schild beim Eingang zum Seminarraum, den der Krisenstab zum wichtigsten Büro umfunktioniert hat. Drinnen sitzen zwei Mitglieder der Geschäftsleitung (GL) mit ernster Miene vor ihren Laptops: eine Videokonferenz mit einem wichtigen Abnehmer, wie der Finanzchef kurz vor dem Gespräch angetönt hat. Offenbar ein Brite, dem gepflegten Englisch nach zu urteilen. Er schildert, wie seine Geschäfte in der Corona-Pandemie litten. Smalltalk? Keineswegs. Denn nun fordert er einen Rabatt, der schon fast als unverschämt bezeichnet werden muss. Und Anpassungen bei den Liefermodalitäten. Der Finanzchef und der Verkaufsleiter schlucken zuerst leer. Dann fragen sie nach, klären Zahlen und versprechen eine Rückmeldung innert der gewünschten Frist.


Die Anspannung steht den beiden ins Gesicht geschrieben – schliesslich filmt ein Kameramann die Szene für die Übungsleitung. Zugleich sitzt deren Beobachter in einer Ecke. Er macht fleissig Notizen, wie die beiden GL-Mitglieder die Forderungen des Kunden parieren. «Die Aussagekraft der Krisensimulation ist immens», sagt Florian Keller, Leiter des Studiengangs Master of Business Administration (MBA ZFH) der School of Management and Law. In solchen Situationen zeige sich deutlich, auf welche Fähigkeiten eine Person tatsächlich zurückgreifen könne, auch unter Zeitdruck und kontroversen Umständen.

Entscheidungsfähigkeit und Leadership

Diese Intensivwoche ist ein Höhepunkt im Studiengang. Insgesamt 24 Frauen und Männer nehmen dieses Jahr an der Krisensimulation teil, die Voraussetzung für den begehrten MBA-Abschluss ist. In wechselnden Rollen zeigen sie, was sie draufhaben in Sachen Entscheidungsfähigkeit, Leadership, strategisches Denken, Flexibilität und Krisenmanagement. Sie üben, lernen, verbessern sich. Alle stehen während sechs Stunden selbst einmal an der Spitze des international ausgerichteten Übungs-Unternehmens: entweder als CEO oder als Stabschef respektive Stabschefin. So, wie später in der Realität vielleicht ebenfalls.


Es ist der Tag 3 der Krisensimulation. Der Druck ist hoch. «Heute habe ich nur zwei Stunden geschlafen», berichtet Patrick Läng in einer kurzen Pause bei einem Espresso. Er war CEO Nummer 3. Mitten in der Nacht habe ihn jemand aus dem Team mit einer Hiobsbotschaft geweckt. In der Folge überstürzten sich die Ereignisse. Es galt, das Chaos zu organisieren, Aufgaben zu verteilen, eine Strategie zu entwickeln, um das Unternehmen wieder flott zu kriegen. «Das war Hektik pur, die sechs Stunden als CEO fühlten sich an, als wären es nur fünf Minuten gewesen», sagt der 36-Jährige, der im echten Leben Projektleiter beim Stadtwerk Winterthur ist.


Kein fester Ablauf des Geschehens

Die Intensivwoche findet in einem Seminarhotel im Grünen statt. Dass draussen die Aprilsonne strahlt, kriegt drinnen kaum jemand mit. Dort steuert die Übungsleitung die Krise aus ihrem Regieraum heraus. Manche Vorfälle und Wendungen sind vorbereitet, andere improvisiert. Das heisst: Es gibt keinen festen Ablauf, das Geschehen entwickelt sich je nach den Reaktionen von CEO und den einzelnen Teams. Mehrere Protagonisten mit vorab definierten Persönlichkeitsprofilen treten auf. Das sind Rollenspiele, meist besetzt durch jemanden aus dem Team der Übungsleitung. Mehr zum Fall darf hier nicht verraten werden, um künftige Durchführungen nicht zu sabotieren.


Wie in einer echten Krise sind Informationen zuweilen unklar oder widersprüchlich. Das sorgt für Stress. «Wir können telefonieren, Mails schreiben, Zahlen oder bestehende Verträge anfordern», sagt die Teilnehmerin Simone Jud. Doch man komme nicht darum herum, Annahmen zu treffen: «Es ist besser, aufgrund unvollständiger Informationen rasch zu entscheiden, als zu spät zu entscheiden, sagt die 34-Jährige, die als Betriebsleiterin und stellvertretende CEO in der Rehaklinik Hasliberg tätig ist. Sie ist ein ruhender Pol im hektischen Treiben, behält den Überblick. Das hat wohl auch mit ihrer Krisenerprobtheit zu tun. Als die Corona-Pandemie ausbrach, sei sie in einem Akutspital tätig gewesen: «Da war das Adrenalin echt.»


Nahe an der echten Unternehmenswelt

Nun stürmt der aktuelle Stabschef Iwo Fischer (36) aus einer Sitzung. Soeben fiel der Entscheid, die Task Force für die Strategie neu zu bilden. Ihm obliegt nun die Umsetzung. «Die Situation hier ist erschreckend real, wenn man in einer verantwortlichen Rolle steckt», konstatiert er. In der echten Unternehmenswelt laufe vieles sehr ähnlich ab, sagt der Projektleiter Fahrzeugbeschaffung bei den Verkehrsbetrieben der Stadt Zürich. Inklusive Arbeit bis tief in die Nachtstunden? Fischer nickt vielsagend. Einst war er bei den SBB tätig und erlebte dort die Beschaffung des Fernverkehrszugs «Dosto» von Bombardier mit allen Lieferverzögerungen, Einsprachen und technischen Problemen mit.


Am Raum, der als Headquarter dient, klebt eine Notiz: «Bitte Ruhe! Achtsamkeitsübung bis 14.20». Eine fünfminütige Atemmeditation diente dazu, die Kräfte des Teams zu konzentrieren. Dann gehts wieder an die Arbeit. Rahel Leugger, aktuell als CEO im Amt, gibt dem Verwaltungsratspräsidenten (Florian Keller, diesmal mit Jackett) einen Überblick, welche Auswege sich aus der verzwickten Situation bieten. Der ist unzufrieden, er hatte mehr Optionen zur Auswahl verlangt, will grüne Pfeile nach oben sehen, nicht rote nach unten. Hauptziel sei nicht, die Erwartungen des Verwaltungsrats zu befriedigen, entgegnet die 47-Jährige, die in der Realität als Geschäftsleiterin der Stadtoase, eines Mehrspartenbetriebs im Bereich Gesundheit/Wellness, tätig ist: «Es geht darum, welche Strategie wir als die beste für das Unternehmen identifiziert haben.»


Mediengerüchte bedrohen Reputation

Abends werden alle per Mail eine Videodatei mit der aktuellen «Tagesschau» erhalten. Zuerst die (echte) Schlagzeile des Tages, die Urteilsverkündung im Fall Vincenz vor dem Zürcher Bezirksgericht. Dann Schnitt. Nun sagt ein anderer Moderator (Florian Keller) mit einer schmissigen Überleitung den Bericht von der Medienkonferenz des Krisenunternehmens an, die vormittags um 10 Uhr stattfand. Die Führungsriege trat damit Gerüchten entgegen, die in Internetmedien kursierten und die Reputation des Unternehmens zu beschädigen drohten.


«Die Vorbereitung des Anlasses und der Communiqués in Echtzeit und unter grossem Zeitdruck war ein gutes Training für den Umgang mit Medien», sagt Christiane Rost, die aktuell für die Kommunikation zuständig ist. Und noch etwas habe die Krisensimulation vermittelt, erklärt die Leiterin Qualitätsmanagement bei Anticimex, einem Dienstleister für Schädlingsbekämpfung: «Die Intensivwoche hat mir gezeigt, dass ich es in bisherigen Krisen nicht komplett falsch gemacht habe.»

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